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Echos > 2012 > Handelsblatt - Merkels Strompreislüge

Logo23.05.2012
von Klaus Stratmann, Thomas Ludwig,
Ulf Sommer und Ruth Berschens

Merkels Strompreislüge

Trotz der Energiewende soll Strom bezahlbar bleiben, hat die Kanzlerin versprochen - doch die Preise explodieren. Verbraucher und Wirtschaft zahlen die Zeche - Deutschland droht eine schleichende Deindustrialisierung.

Heute ist klar: Merkel hat zu viel versprochen. Die Energiepreise in Deutschland steigen dramatisch - allein in den vergangenen zehn Jahren um 57 Prozent. Und das nicht zuletzt deshalb, weil der Staat einer der größten Kostentreiber ist. Die Steuern und Abgaben auf den Strompreis haben sich inzwischen auf 23,7 Milliarden Euro erhöht - ein Plus von gut 1 000 Prozent innerhalb von 15 Jahren. Der Stromaufschlag gleicht mittlerweile einer Sonderenergiesteuer, die höher ausfällt als die Einnahmen aus Tabak- und Kraftfahrzeugsteuern zusammen.

Diese Zahl ist das Ergebnis der aktuellen Strompreisanalyse des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), die dem Handelsblatt vorliegt. Sie dürfte auch ein Alarmsignal für die Bundeskanzlerin gewesen sein, die sich heute mit den Ministerpräsidenten im Kanzleramt traf, um über die Energiewende zu beraten. Die Ergebnisse des Treffens waren dürftig: Bund und Länder wollen bei der Energiewende künftig enger zusammenarbeiten. Merkel kündigte an, ein solches Spitzentreffen künftig halbjährlich abzuhalten.

"Die Energiewende ist eine große Aufgabe, der wir uns gemeinsam verpflichtet fühlen", sagte die Kanzlerin. Zum Ausbau der Stromnetze solle noch vor der Sommerpause eine Bundesnetzplanung verabredet werden, die dann bis Ende des Jahres verabschiedet werden solle.

Verabredet wurde laut Merkel auch, den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien "zu harmonisieren mit der Notwendigkeit grundlastfähiger Kraftwerke". Die Bundesregierung werde dazu demnächst einen Vorschlag machen. Die Kanzlerin äußerte weiter die Hoffnung, dass es in den Vermittlungsverfahren zur energetischen Gebäudesanierung sowie zur von der Regierung geplanten Kürzung der Solarförderung bis zum Sommer eine Einigung geben werde.

Für Industrie und Verbraucher ist das nur ein schwacher Trost. Experten sind sich einig, dass die Fördersätze schleunigst gekürzt werden müssen. Denn inzwischen ist die Förderung der erneuerbaren Energien der größte Einzelposten bei Steuern und Abgaben. In diesem Jahr wird das Fördervolumen auf den bislang höchsten Jahreswert von 14,1 Milliarden Euro steigen.

Besonders die Industrie leidet unter den hohen Strompreisen. Am stärksten betroffen sind die Chemie-, Metall- und Papierindustrie. In der Aluminiumbranche belaufen sich die Stromkosten auf über 40 Prozent der Gesamtkosten.

Alle klagen, einige schließen bereits: Die Aluminiumhütte Voerdal im niederrheinischen Voerde musste angesichts hoher Strompreise jüngst Insolvenz anmelden. Der US-Chemieriese Dow Chemical betreibt derzeit 17 Standorte mit mehr als 5 000 Mitarbeitern in Deutschland. "Wegen der Energiewende bekomme ich aus meiner US-Konzernzentrale zunehmend kritische Fragen, ob die Energiebereitstellung in Deutschland noch zu wettbewerbsfähigen Preisen möglich sein wird", sagte Deutschland-Chef Ralf Brinkmann.

Die Deindustrialisierung hat längst begonnen

"Die Deindustrialisierung hat längst begonnen", warnt Energiekommissar Günther Oettinger im Gespräch mit dem Handelsblatt. Auch Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, beklagt: "Das Niveau der Industriestrompreise hier ist höher als in fast allen anderen Ländern."

In der schwarz-gelben Koalition wachsen die Sorgen: "Die Strompreise werden zur Achillesferse der Energiewende. Wir müssen sie so gestalten, dass sie bezahlbar bleibt", sagt Thomas Bareiß (CDU), Koordinator Energiepolitik der Unionsfraktion. Experten schätzen die Kosten der Energiewende auf insgesamt 170 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020. Das ist mehr als das Doppelte dessen, was Deutschland abschreiben muss, sollte Griechenland aus der Währungsunion ausscheiden.

Dabei hat gerade die Industrie in den vergangenen Krisenjahren dazu beigetragen, dass Deutschland schneller als andere Volkswirtschaften wirtschaftlich Tritt fassen konnte. Staaten wie Großbritannien beneiden Deutschland um den 22-prozentigen Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung.

Deshalb steckt die Politik in einem Dilemma. Einerseits gehe es nicht ohne Entlastungen der Industrie bei den Energiekosten, um deren internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden, sagt CDU-Experte Thomas Bareiß. Andererseits dürfe die Belastung nicht einseitig bei den Privatverbrauchern landen. "Die Lösung kann nur darin liegen, die Energiewende so kosteneffizient wie möglich zu gestalten", sagte der CDU-Politiker. In diesem Zusammenhang kritisierte er die Bundesländer, die eine Kürzung der Photovoltaik-Vergütung kürzlich mit Zweidrittelmehrheit abgelehnt hatten.

Beim heutigen Treffen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder wird das Thema Strompreise oben auf der Tagesordnung stehen. Dafür hatten die Länder gesorgt. Merkel wollte sich mit den Ministerpräsidenten zunächst nur über den Ausbau der Netze unterhalten. Vielleicht wollte sie auch einfach nicht an ihre Zusage aus dem vergangenen Juni erinnert werden, wonach die Strompreise für Industrie und Verbraucher bezahlbar bleiben würden.

Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Zu Beginn der Liberalisierung des Strommarktes 1998 summierten sich staatliche Steuern und Abgaben für alle Stromverbraucher auf 2,28 Milliarden Euro. 2012 ist der Wert etwa zehn Mal so hoch. Mit 14,1 Milliarden stellt die Umlage zur Förderung der erneuerbaren Energien auch in diesem Jahr den größten Einzelposten der staatlichen Steuern und Abgaben dar.

Steuern und Abgaben machen bereits 45 Prozent der Stromrechnung eines durchschnittlichen privaten Musterhaushaltes mit drei Personen aus. Er zahlt 75 Euro im Monat, davon entfallen nur noch 41 Euro auf Beschaffung, Transport und Vertrieb des Stroms, also die eigentliche Leistung. 34 Euro sind Steuern und Abgaben.

Die Verzehnfachung der Steuern und Abgaben stellt lediglich den Beginn einer Entwicklung dar, die sich nach Einschätzung vieler Fachleute noch deutlich beschleunigen wird. Nach oben sind der Fantasie kaum Grenzen gesetzt. Der Grund: die Energiewende. Wenn die Bundesregierung ihre ehrgeizigen Ziele erreichen will, wird sie viel Geld umverteilen müssen, das sie zuvor bei den Stromverbrauchern einsammelt. So soll allein der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung von derzeit 20 Prozent bis 2020 auf 35 Prozent und bis 2030 auf 50 Prozent steigen.

Das kostet. Es gibt mittlerweile eine Reihe von Berechnungen und Szenarien zu diesem Thema. So kommt die Unternehmensberatung McKinsey in einem Anfang Mai vorgestellten Gutachten zu dem Ergebnis, dass sich die Kosten für die Energiewende zwischen 2011 und 2020 auf 175 Milliarden Euro summieren werden. Allein im Jahr 2020 werden die Stromverbraucher demnach Kosten von 21,5 Milliarden Euro tragen müssen, die nur durch den Umstieg auf die erneuerbaren Energien verursacht werden.

Die Erneuerbare-Energien-Branche hält solchen Berechnungen gern entgegen, der Strom aus Windparks oder Photovoltaik-Anlagen habe auch kostensenkende Effekte. So muss die deutsche Volkswirtschaft immer weniger Geld für fossile Brennstoffe wie Öl und Gas aufbringen. Außerdem überflutet an sonnen- und windreichen Tagen Öko-Strom die Leipziger Strombörse und drückt die Börsenpreise.

Fachleute sind sich aber einig, dass dadurch nur ein Bruchteil der Kosten aufgefangen werden kann. "Die finanziellen Belastungen durch die Energiewende sind enorm", sagt McKinsey-Experte Thomas Vahlenkamp. "Die Hauptlast tragen die privaten Haushalte."

Die besonders energieintensiven Branchen wie Stahl oder Aluminium hingegen können ab 2013 auf Subventionen für höhere Strompreise hoffen. Entsprechende Voraussetzungen hat die EU-Kommission durch Änderungen im Beihilferecht geschaffen, wie sie gestern mitteilte. 2013 tritt der Emissionshandel der EU in eine neue Phase, weiter steigende Stromkosten sind die Folge. Doch jetzt können die Mitgliedstaaten gegensteuern. Die entsprechenden Subventionen dürfen bis 2015 bis zu 85 Prozent der höheren Kosten abdecken.

Danach wird der Anteil der erlaubten Subventionen gesenkt. Die EU-Kommission begründet die Ausnahmeregeln damit, dass die betroffenen Industrien bei weiter steigenden Kosten aus der EU abwandern könnten. Wenn sie dann im Ausland ihren Strom aus vergleichsweise stark luftverschmutzenden Anlagen bezögen, wäre für den Klimaschutz nichts gewonnen. Die Bundesregierung wird aus den Emissionseinnahmen jährlich etwa 500 Millionen Euro für die stromintensive Industrie bereitstellen.

Handelsblatt | 23. Mai 2012


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